Reading time
11 min
Date published
2025-01-01

Deutschland vs. Temu

Temu, ein Online-Marktplatz im Besitz des chinesischen Unternehmens PDD Holdings, hat sich seit dem Markteintritt im Jahr 2023 rasant zu einem wichtigen Akteur im deutschen E-Commerce entwickelt. Durch aggressive Werbung und extrem niedrige Preise erfreut sich die Plattform großer Beliebtheit in Deutschland. Bereits im Jahr 2023 gab jede*r vierte Deutsche an, schon einmal bei Temu eingekauft zu haben. Laut Daten aus dem Jahr 2023 belegte Temu den achten Platz unter den Online-Marktplätzen in Deutschland mit einem Bruttowarenvolumen (GMV) von 1,04 Milliarden US-Dollar. Dieses schnelle Wachstum sorgt bei etablierten Anbietern wie Amazon, Zalando und Otto für Besorgnis – sie stehen zunehmend unter Wettbewerbsdruck.

E-Commerce: Jede*r vierte Deutsche hat bereits bei Temu eingekauft

Anteil der Befragten, die in den letzten 6 Monaten auf den folgenden Online-Marktplätzen eingekauft haben

Europäische Händler auf Temu

Im Sommer 2024 hat sich Temu stärker für Verkäuferinnen aus der Europäischen Union geöffnet. Diese sind selbst für die Listung ihrer Produkte, Lagerhaltung, Logistik und Rücksendungen verantwortlich. Temu übernimmt hingegen die Preisgestaltung (auch wenn Verkäuferinnen offenbar einen Mindestpreis festlegen können), den Kundenservice sowie das Marketing – sowohl auf der Plattform als auch extern.

Derzeit erhebt Temu keine Registrierungsgebühren, keine Verkaufsprovisionen, keine Werbekosten und keine monatlichen Gebühren. Laut Zixia Yi sollen diese Konditionen auch künftig unverändert bleiben.

Der Verkaufsprozess auf Temu funktioniert wie folgt: Verkäufer*innen legen einen Mindestpreis fest, der dem niedrigsten Preis auf Amazon entspricht. Den endgültigen Verkaufspreis bestimmt jedoch Temu. Wird ein Produkt zu einem höheren Preis verkauft als dem vom Verkäufer bzw. der Verkäuferin festgelegten Mindestpreis, behält Temu die Differenz ein.

Kann ein tschechischer Online-Shop auf Temu verkaufen?

Ja, aber derzeit nur indirekt. Aktuell können nur Unternehmen mit Firmensitz in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, den Niederlanden oder dem Vereinigten Königreich auf Temu verkaufen.

Zugangsvoraussetzungen:
✔ Gewerbeanmeldung in einem der zugelassenen Länder
✔ Lokale Umsatzsteuer-ID für den Zielmarkt
✔ Teilnahme nur auf Einladung – Verkäufer*innen müssen Temu aktiv kontaktieren und eine Zulassung erhalten

Für tschechische Online-Händler ohne Geschäftseinheit in einem dieser Länder ist der Einstieg bei Temu kompliziert.
Eine Alternative könnte die Gründung einer Firma in Deutschland oder die Zusammenarbeit mit einem Zwischenhändler sein.

Wie Temu den EU-Onlinehandel in Deutschland beeinflusst

  1. Steigende CPC-Kosten bei Google und Facebook


    Temu investiert massiv in bezahlte Werbung auf Facebook, Google Ads, TikTok und anderen Kanälen. Die Folge: Die klickbasierten Auktionspreise (CPC) steigen in Deutschland spürbar. Für europäische Online-Shops bedeutet das teurere Werbekampaně und deutlich höhere Kosten zur Neukundengewinnung.

  2. Preiskrieg und Margendruck

    Temu verändert die Erwartungen der Kundinnen – deutsche Verbraucherinnen suchen zunehmend nach extrem günstigen Angeboten. Traditionelle E-Commerce-Anbieter sehen sich gezwungen, ihre Preise zu senken, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das drückt die Gewinnmargen und erhöht die Schwelle für einen rentablen Marketing-ROI.

  3. Impact on Organic Search Visibility

    Auch im Bereich SEO investiert Temu gezielt – und dominiert zunehmend die organischen Suchergebnisse. Für kleinere und mittelgroße EU-Shops wird es dadurch schwieriger, gute Platzierungen bei Google zu erzielen, was ihre Sichtbarkeit und den organischen Traffic ohne bezahlte Unterstützung stark einschränkt.

Regulatorische Herausforderungen und politische Reaktionen in Deutschland

Die wachsende Beliebtheit von Plattformen wie Temu und Shein hat Bedenken hinsichtlich der Einhaltung europäischer Standards ausgelöst – insbesondere in den Bereichen Produktsicherheit, Verbraucherschutz und fairer Wettbewerb. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat daher den „Aktionsplan E-Commerce“ entwickelt, der die Durchsetzung bestehender Vorschriften zu Produktsicherheit, Umweltschutz, Verbraucherrechten sowie Zoll- und Steuerpflichten stärken soll.

Der Aktionsplan wurde am 29. Januar 2025 von der Bundesregierung verabschiedet und enthält mehrere Vorschläge zur Regulierung von Online-Marktplätzen aus Drittstaaten wie Temu und Shein. Das Ministerium arbeitet aktiv mit der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten zusammen, um diese Maßnahmen auf EU-Ebene umzusetzen. Erste regulatorische Schritte sollen noch im Laufe des Jahres 2025 beschlossen werden.

Der Aktionsplan ist in drei Hauptkategorien und 13 Unterkategorien gegliedert:

I. Stärkung der Marktüberwachung und Zollkontrollen

Der Aktionsplan zielt darauf ab, die Marktüberwachung zu verbessern und die Zollkontrollen zu verschärfen, um den Import illegaler oder unsicherer Produkte zu verhindern. Ein zentraler Aspekt ist die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Marktüberwachungsbehörden und Zollstellen, um die Kontrolle des Onlinehandels besser zu koordinieren und problematische Waren schneller zu identifizieren.

Dabei sollen automatisierte Tools zum Einsatz kommen, um nicht konforme Produkte aufzuspüren – unter anderem durch Mystery Shopping, mit dem Verstöße gezielt aufgedeckt werden können. Zollkontrollen sollen insbesondere bei Sendungen unter 150 EUR verstärkt werden, da diese häufig ohne Abgaben abgewickelt werden.

Diese Maßnahmen sollen bestehende Vorschriften effektiver durchsetzen, faire Wettbewerbsbedingungen für europäische E-Commerce-Unternehmen schaffen und unlauteren Wettbewerb – insbesondere aus China – eindämmen. Für tschechische Händler bedeutet das: Chinesische Importeure werden künftig stärker kontrolliert.

II. Durchsetzung der Plattformverantwortung

Dieser Abschnitt des Aktionsplans konzentriert sich auf die Durchsetzung bereits bestehender Vorschriften für Online-Marktplätze wie Amazon, Temu und Shein. Anstatt neue Regeln einzuführen, geht es darum, sicherzustellen, dass Plattformen die bestehenden EU-Standards in den Bereichen Produktsicherheit, Verbraucherrechte und fairer Wettbewerb einhalten.

Eine zentrale Rolle spielt dabei der Digital Services Act (DSA), der große E-Commerce-Plattformen verpflichtet, Angebote aktiv zu überwachen, den Verkauf illegaler oder unsicherer Produkte zu verhindern und für Transparenz bei den Anbietern zu sorgen. Die im Aktionsplan vorgesehenen Maßnahmen zielen darauf ab, die Durchsetzung dieser Vorgaben zu stärken – mit mehr Verantwortung für die Plattformen und einer schnelleren Entfernung schädlicher Produkte.

Für tschechische E-Commerce-Unternehmen mit Expansionszielen in Deutschland könnte dies ein faireres Wettbewerbsumfeld schaffen, da chinesische Anbieter künftig strengere Anforderungen erfüllen und mit schärferer Kontrolle rechnen müssen.

III. Stärkung der Umwelt- und Verbraucher­verantwortung

Dieser Teil des Aktionsplans legt den Fokus auf Nachhaltigkeit, Produktsicherheit und Verbraucherschutz. Ziel ist es, sicherzustellen, dass Online-Produkte den EU-Standards entsprechen und Kund*innen besser vor irreführenden Praktiken geschützt werden.

E-Shops und Plattformen sollen Lieferanten künftig gründlicher überprüfen und gefährliche Produkte zügig entfernen. Geplant ist zudem die Einführung eines digitalen Produktpasses, der Informationen zu Umweltauswirkungen und Recycelbarkeit enthält. Plattformbetreiber wären verpflichtet, die Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Angaben zu kontrollieren.

Dieser Schritt soll es Verbraucher*innen ermöglichen, gezielt zu prüfen, ob ein Produkt bestimmte Kriterien erfüllt. Außerdem sollen Scheinrabatte, manipulative Taktiken (wie z. B. „nur noch 1 Stück verfügbar“) reduziert und Rückgaberegeln strenger gefasst werden.
Für tschechische Händler mit Expansionsplänen nach Deutschland bedeutet das zwar mehr Verwaltungsaufwand, gleichzeitig aber auch die Chance, sich über Qualität und Nachhaltigkeit positiv abzuheben.

Zudem haben deutsche Verbraucherorganisationen wie der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) Temu wegen irreführender Rabatte, manipulativen Designs und mangelnder Transparenz über Verkäufer abgemahnt. Diese Praktiken gelten als Verstöße gegen das europäische Verbraucherrecht.

Auf EU-Ebene hat die Europäische Kommission ein Prüfverfahren gegen Temu eingeleitet – mit dem Verdacht, dass die Plattform den Verkauf illegaler Produkte nicht ausreichend verhindert und die Transparenzanforderungen des Digital Services Act (DSA) nicht erfüllt. Sollte sich dies bestätigen, könnten spürbare Sanktionen folgen.

Diese Maßnahmen zeigen, dass deutsche und europäische Behörden entschlossen sind, Rechtskonformität im Onlinehandel durchzusetzen, Verbraucher*innen zu schützen und fairen Wettbewerb zu fördern.

Im Mai 2025 hat eine neue Bundesregierung unter Führung von CDU/CSU und SPD ihr Amt angetreten. Kanzler ist Friedrich Merz. Die Koalition verfolgt einen marktwirtschaftlich orientierten, aber pragmatischen Kurs und signalisiert damit eine Abkehr von ideologisch motivierten Eingriffen. Zwar ist nicht zu erwarten, dass die neue Regierung direkte Beschränkungen für chinesische Plattformen wie Temu unterstützt – etwa in Form von Werbeverboten oder Funktionseinschränkungen –, wohl aber eine konsequente Durchsetzung bestehender Regeln. Dazu gehören strenge Kontrollen im Bereich Verbraucherschutz, Produktsicherheit sowie eine Überarbeitung steuerlicher Vorteile, von denen außereuropäische Anbieter aktuell profitieren.

Dieser Ansatz verfolgt das strategische Ziel, fairen Wettbewerb zu schützen und europäische Standards zu wahren, ohne auf pauschale Verbote zurückzugreifen.

Temu als geopolitische Herausforderung

Temu stellt eine ernstzunehmende geopolitische Herausforderung für Europa dar – mit Auswirkungen in mehreren zentralen Bereichen:

Wirtschaftliche Dominanz und ungleicher Wettbewerb:
Durch extrem niedrige Preise und aggressive Marketingstrategien gewinnt Temu rasant Marktanteile in Europa. Dies schafft unfaire Wettbewerbsbedingungen für europäische Unternehmen, erhöht die Abhängigkeit von Billigimporten aus China und gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit lokaler Hersteller.

Sicherheitsrisiken und Datenschutz:
Die Temu-App sammelt umfangreiche Nutzerdaten – darunter Kontakte, Standortinformationen und sogar Mikrofonzugriffe – und überträgt diese auf Server in China. Das wirft erhebliche Bedenken hinsichtlich Cybersicherheit und Datenschutz europäischer Verbraucher*innen auf.

Zwangsarbeit und ethische Bedenken
Es gibt weitverbreitete Hinweise darauf, dass Produkte auf Temu aus Lieferketten stammen könnten, in denen Zwangsarbeit – insbesondere aus der chinesischen Region Xinjiang – eine Rolle spielt. Das stellt ernsthafte ethische und rechtliche Fragen in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten in der EU auf.

Abhängigkeit von chinesischer Technologie und Verlust strategischer Autonomie
Mit dem wachsenden Einfluss chinesischer Plattformen wie Temu droht Europa, in technologische Abhängigkeit zu geraten. Dies gefährdet langfristig die strategische Autonomie der EU in Schlüsselbereichen wie digitaler Infrastruktur, Marktplatztechnologie und Datenverarbeitung.

Diese Entwicklungen verdeutlichen den dringenden Handlungsbedarf: Eine sorgfältige Regulierung chinesischer E-Commerce-Plattformen ist notwendig, um europäische Werte, Sicherheitsinteressen und wirtschaftliche Souveränität zu schützen

Fazit

Temus rasante Expansion auf dem deutschen Markt bringt nicht nur günstige Preise für Verbraucher*innen – sie wirft auch ernsthafte wirtschaftliche, sicherheitspolitische und ethische Fragen auf. Mit einem aggressiven Geschäftsmodell stört Temu den fairen Wettbewerb, schwächt lokale Unternehmen und erhöht Europas Abhängigkeit von chinesischen Importen.

Ebenso dringend sind die Risiken im Bereich Cybersicherheit und Datenschutz, da die Plattform große Mengen sensibler Nutzerdaten sammelt. Hinzu kommen wachsende ethische Bedenken hinsichtlich der Lieferkettenpraktiken, insbesondere im Hinblick auf den möglichen Einsatz von Zwangsarbeit.

Ohne eine strengere regulatorische Kontrolle droht Temu, die europäischen Verbraucherschutzstandards zu untergraben und Chinas wirtschaftlichen Einfluss weiter auszubauen. Das unterstreicht die dringende Notwendigkeit für europäische Regulierungsbehörden, ein Gleichgewicht zwischen offenen Märkten und dem Schutz strategischer Interessen zu wahren.

About us

How we can help you

Our team will help you with the first steps of your expansion as well as long-term marketing strategies.